Landtag beschließt Antrag "Sachsen-Anhalt atmet auf – Nichtraucherschutz und Prävention verstärken"
6. April 2017

Katja Pähle: Schutz von Kindern, Jugendlichen und Schwangeren muss Schwerpunkt der Präventionsarbeit sein

Die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Katja Pähle, hat in der heutigen Landtagssitzung für die Koalitionsfraktionen den Antrag „Sachsen-Anhalt atmet auf – Nichtraucherschutz und Prävention verstärken“ eingebracht. Ihre Rede im Wortlaut:

„Rauchen schadet Ihrer Gesundheit“ – diesen Slogan kennen wir alle nur zu gut. Trotzdem raucht in Deutschland etwa ein Viertel der gesamten Bevölkerung. Warum?

Weil es cool ist und dazu gehört, weil es entspannt, zur Belohnung, aus Langeweile, zum Runterkommen bei Stress, um schlank zu bleiben – es gibt viele Begründungen, auch wenn keine davon geeignet ist, mich persönlich zu überzeugen, mit dem Rauchen anzufangen.

Denn wir alle kennen auch die andere Seite der Medaille, und davon ist die Gesellschaft insgesamt betroffen. Die monetären Kosten für das Gesundheitssystem sind dabei nur eine Folge:

  • 13,5 Prozent der Todesfälle im Jahr 2013 waren auf das Rauchen zurückzuführen.
  • Krebserkrankungen verursachen den größten Anteil der tabakbedingten Todesfälle – 52 Prozent bei den Männern und rund 41 Prozent bei den Frauen. Darauf folgen Herz-Kreislauferkrankungen inklusive Typ-2-Diabetes sowie Atemwegserkrankungen.
  • Die indirekten Kosten des Rauchens liegen jährlich bei 53,68 Milliarden Euro, die direkten Kosten bei 25,41 Milliarden Euro.

Dieses und noch vieles mehr kann dem Tabakatlas 2015 entnommen werden.

Dass Rauchen wirkt, wie es wirkt, kommt nicht von ungefähr und liegt an den Bestandteilen des Tabakrauchs. Im Tabakrauch finden sich etwa 200 giftige und etwa 70 krebserregende Stoffe, darunter Arsen (wie im Rattengift), Teer (wie im heißen, stinkenden Straßenbelag), Polonium-210 (ein radioaktives Element) oder Formaldehyd (wie in Desinfektionsmitteln). Letzteres entsteht wie viele andere Giftstoffe des Tabakrauchs erst, wenn eigentlich unbedenkliche Zusatzstoffe – wie in diesem Fall Zucker – beim Rauchen verbrennen oder verdampfen. Beim Einatmen des Rauchs werden die Giftstoffe über die Lunge aufgenommen und im Körper verteilt. Jedes menschliche Organ kann dadurch beim Rauchen geschädigt werden.

Trotz dieser Schädlichkeit, die eigentlich allen bekannt sein sollte, sind die neuen Bundesländer ganz vorn dabei, was das Rauchen angeht. Bei uns in Sachsen-Anhalt beträgt der Anteil rauchender Männer 34 Prozent, der Anteil rauchender Frauen 22,6 Prozent. Damit liegt unser Bundesland in beiden Personengruppen im Spitzenfeld. Bei beiden Geschlechtern steigt mit zunehmendem Alter der Anteil der täglichen Raucher.

Mit zunehmendem Alter steigt auch der Raucheranteil bei Kindern und Jugendlichen: Bis zum Alter von 13 Jahren rauchen noch weniger als fünf Prozent; bei 17jährigen sind es dann bereits über 30 Prozent, die zum Glimmstengel greifen. Hier steht Sachsen-Anhalt an der unrühmlichen Spitze aller Bundesländer – mit 36,4 Prozent rauchenden jungen Männern und 30,3 rauchenden jungen Frauen. Das ist besorgniserregend!

Dabei erfuhr das Rauchen im vergangenen Jahrhundert einen gesellschaftlichen Wandel. In früheren Jahrhunderten waren es vor allem männliche Mitglieder der Oberschicht, bei denen Zigarette, Zigarre und Pfeife als Statussymbole galten. Später ging die Emanzipation der Frau mit einer deutlichen Zunahme weiblichen Tabakkonsums einher. Nun rauchen seit einigen Jahrzehnten deutlich mehr Männer und Frauen mit niedrigem sozialen Status als solche mit hohem sozialen Status. Dieser soziale Unterschied im Rauchverhalten ist bei den Männern in allen Altersgruppen ausgeprägt und bei den Frauen in der Altersgruppe von 30 bis 64 Jahren.

Auch bei Jugendlichen machen sich soziale Unterschiede im Rauchverhalten bemerkbar. Jugendliche aus Familien mit einem niedrigen sozialen Status rauchen häufiger als Gleichaltrige aus Familien mit einem hohen sozialen Status. Zudem rauchen sie auch stärker – eher täglich als gelegentlich.

Eine 2013 veröffentlichte Studie der DAK-Gesundheit und des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung wies nach: Je mehr Tabakwerbung Jugendliche schauen, desto mehr rauchen sie – und werden letztlich abhängig.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu wissen: Jugendliche werden schneller abhängig, als man lange angenommen hat. In einer anderen Studie zeigte ein Viertel der Jugendlichen im Alter von 12 bis 13 Jahren bereits nach vier Wochen gelegentlichen Rauchens Entzugserscheinungen wie Nervosität, Unruhe und Gereiztheit. Abhängigkeit beginnt also oft schon, bevor jemand beginnt, täglich zu rauchen.

Ein wenig beruhigend ist, dass nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zwei Drittel der jugendlichen Raucher bereits im Alter von zwölf bis 17 Jahren wieder mit dem Tabakkonsum aufhören oder ihn reduzieren wollen. Und: Wenn ein Jugendlicher bis zum 17. Lebensjahr noch nicht mit dem Rauchen angefangen hat, wird er wahrscheinlich Nichtraucher bleiben.

Hier müssen wir ansetzen: Wir brauchen verstärkt zielgruppengerechte Angebote und Anreize für unsere Jugend, mit dem Rauchen aufzuhören, und Unterstützung für die, die selbst gar nicht erst anfangen wollen! Der Schutz unserer Kinder und Jugendlichen ist der erste Grund, sie um die Zustimmung für unseren Antrag zu bitten.

Der zweite ergibt sich aus der besorgniserregenden und besonders folgenschweren Zunahme des Anteils rauchender Schwangerer, weil dies massive Folgen für das ungeborene Leben im Mutterleib hat. In den letzten 18 Jahren hat sich der Anteil von unter sechs auf ganze 16,6 Prozent erhöht. Auch hier liegt Sachsen-Anhalt über dem Bundesdurchschnitt.

Wie Langzeitstudien zeigen, kommen Babys rauchender Mütter deutlich häufiger als Frühchen auf die Welt. Sie haben oft ein zu niedriges Geburtsgewicht, angeborene Herzfehler und haben eine erhöhte Gefahr, durch den plötzlichen Kindstod zu sterben. Sie zeigen Wachstums- und Entwicklungsstörungen und neigen verstärkt zu Hyperaktivität und Lernschwierigkeiten im Schulalter. Als Erwachsene werden sie oft von krankhaftem Übergewicht geplagt oder leiden bereits zeitig unter Diabetes. Rauchen in der Schwangerschaft erhöht zusätzlich das Risiko für Blutungen, Fehlgeburten und einen vorzeitigen Blasensprung.

Das gilt übrigens alles nicht nur für das aktive Rauchen – passives Rauchen ist genauso schädlich!

Und noch eine interessante Studie habe ich bei meinen Recherchen gefunden: Die Psychologin Dr. Nadja Reissland von der Universität Durham in England ist auf vorgeburtliche Mimik und Gestik spezialisiert. Für ihre Studie hat sie 20 Frauen in der Schwangerschaft begleitet – vier davon starke Raucherinnen. Zwischen der 24. und 36. Schwangerschaftswoche hat sie die Föten mehrmals mit dem 4-D-Ultraschall filmen lassen. Anschließend hat sie die Aufnahmen ausgewertet: Statt wie normal entspannt in der Fruchtblase hin- und herzuwiegen, verziehen die Nikotin-Babys permanent den Mund, fassen sich mit den Händen ins Gesicht und wirken gestresst und verkrampft. Ausgelöst wird dieses Verhalten durch die schädlichen Substanzen aus dem Tabakrauch. Über die Plazenta gelangen sie in den Kreislauf des Kindes. In seinem Gehirn löst die Droge dann die starken Bewegungen der mimischen Muskulatur aus, gegen die sich das Baby nicht wehren kann. Wer möchte das wissentlich seinem ungeborenen Nachwuchs zumuten?

Unser Antrag richtet sich daher vor allem auch darauf, die Sensibilisierung gerade für die Problematik des Rauchens bei Mädchen und Frauen zu erreichen. Hier müssen insbesondere die Akteure der Gesundheitsvorsorge wie Frauenärzte und Schwangerschaftsberatungsstellen einbezogen werden. Mit entsprechenden Anreizen, Informationen und Unterstützung muss darauf hingearbeitet werden, schon mit dem Babywunsch, spätestens aber bei der Feststellung der Schwangerschaft, das Rauchen einzustellen. Gleichzeitig muss das Augenmerk auch auf das Lebensumfeld der werdenden Mama gerichtet werden – ihr Aufhören allein schützt den Nachwuchs nur wenig, wenn zuhause in der Familie weiter fröhlich gequalmt wird. Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal betonen, und das kann nicht oft genug wiederholt werden: Passivrauchen ist für werdende Mütter und ihre Babys genauso gefährlich!

Eine wichtige Frage ist dabei, wie wir unsere Zielgruppen – insbesondere Kinder und Jugendliche, Mädchen und Frauen erreichen. Sicher nicht über die abstoßenden Bildchen auf den Schachteln, die insbesondere bei männlichen Jugendlichen oft eher Belustigung auslösen. Für uns muss Prävention bereits in der Schule beginnen.

Angebote für Raucherinnen und Raucher müssen dort gemacht werden, wo man sie „abholen“ kann, wo sie selbst um Beratung und Hilfe bitten: in Jugendzentren, beim Allgemeinarzt, beim Gynäkologen. Es muss zusätzliche Anreize geben – auf dem Weg zum Aufhören, beim Aufhören selbst und hinterher. Auch für Leute, die rückfällig zu werden drohen.

Mit unserem Antrag wird die Landesstelle für Suchtfragen gebeten, ein Konzept für Anreiz-, Interventions- und Begleitsysteme für den Nichtraucherschutz und die Prävention zu entwickeln.  Im Rahmen der Umsetzung des Präventionsgesetzes und aufbauend auf bestehenden  Programmen (zum Beispiel „Be smart – don’t start“, „just be smokefree“) soll reflektiert werden, wie Kinder und Jugendliche, dabei insbesondere Mädchen und junge Frauen, besser von Prävention und Hilfe profitieren können.

Dass bei den zuständigen Akteuren unter anderem die Tafeln genannt werden, ist kein Zufall. Es geht schließlich auch darum, dass mit jungen Frauen mit niedrigem sozialem Status eine Zielgruppe stärker in den Fokus gerückt werden soll, die an anderen Stellen seltener zu finden ist. Denn in spezifischen Lebenslagen fallen solche jungen Frauen leichter durch das Raster bestehender Hilfsangebote.

Die Bitte um Konzeptentwicklung, die wir im Antrag formulieren, ist daher nicht mit einem umfassenden, personell zu untersetzenden Mehraufwand verbunden. Wenn es aber auf Grundlage dieser stärkeren Fokussierung auf die beschriebenen Gruppen zukünftig zu innovativen und potentiell wirksamen Projektideen kommt, wird die finanzielle Untersetzung zu prüfen sein, wobei der Beschluss des Haushalts ja erst hinter uns liegt.

Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass Sachsen-Anhalt diese speziellen Spitzengruppen des Rankings bei Raucherinnen und Rauchern verlässt und sich eine positivere Entwicklung abzeichnet. Daher bitte ich Sie auch abschließend noch einmal um Zustimmung zu unserem Antrag.