SPD-Landtagsfraktion erinnert an Verdienste des früheren Ministerpräsidenten
13. Juni 2017

„Die Verfassung hat Geburtstag, und Reinhard Höppner ist nicht dabei“

Am Dienstag, dem 13. Juni 2017, erinnerte die SPD-Landtagsfraktion mit einer Veranstaltung im Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg an die Rolle des späteren Ministerpräsidenten Reinhard Höppner für die Entstehung der Landesverfassung, die vor 25 Jahren verabschiedet wurde. Die Arbeit des von Reinhard Höppner geleiteten Verfassungsausschusses und die Positionen der SPD zur Verfassung standen im Mittelpunkt der Rede des ehemaligen  Landtagsvizepräsidenten Rüdiger Fikentscher.

 

Zur Eröffnung der Veranstaltung sagte die Fraktionsvorsitzende Katja Pähle:

Für unseren heutigen Anlass ist das Kloster Unser Lieben Frauen in doppelter Hinsicht ein historischer Ort. Denn hier fand vor beinahe 25 Jahren der Festakt zur feierlichen Verabschiedung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt statt. Und hier nahm unser Land vor drei Jahren Abschied von seinem langjährigen Ministerpräsidenten Dr. Reinhard Höppner.

Es ist wirklich ein Jammer: Die Verfassung hat Geburtstag, und Reinhard Höppner ist nicht dabei – ausgerechnet der Mann, der wie kein zweiter die Entstehung dieser Verfassung gestaltet hat. Als Vorsitzender des Verfassungsausschusses moderierte er die Diskussionen zwischen den Parteien und gab vielen Textpassagen seine persönliche Handschrift. Er sorgte so dafür, dass aus der damaligen Opposition heraus auch die Sozialdemokratie an der Verfassung mitschrieb und ein parteiübergreifend erarbeiteter, breit getragener Entwurf entstand. Reinhard Höppner bemühte sich intensiv darum, dass auch die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit hatten, zum Verfassungsentwurf Stellung zu beziehen und eigene Vorschläge einzubringen.

Reinhard Höppner ist viel zu früh gestorben. Er kann seine Erinnerungen an die Entstehung unserer Landesverfassung nicht einbringen. Deshalb haben wir die Aufgabe übernommen, an seine Rolle zu erinnern.

Das tun wir erstens mit dieser Veranstaltung. Das tun wir zweitens mit einer Broschüre, die wir Ihnen heute vorstellen und in der auch Reinhard Höppner noch einmal selbst zu Wort kommt: mit dem Nachdruck eines Beitrags aus dem Jahr 1992, mit dem er für die Landeszentrale für politische Bildung die Grundzüge unserer Landesverfassung erläuterte. Ich habe diesen Text jüngst noch einmal studiert, als ich mich auf einen der vom Landtag organisierten Bürgerdialoge zu 25 Jahren Verfassung vorbereitete.

Die Klarheit der Sprache, die strukturierte Einführung in die Systematik der Verfassung, die nachvollziehbare Wiedergabe ihrer Entstehung, aber vor allem: Reinhard Höppners lebendige Leidenschaft für die Demokratie – all das wirkt bis heute. In Sachen Bürgernähe und verständliche Sprache kann man davon heute noch viel lernen.

Im Vorfeld dieser Veranstaltung habe ich mal die Formulierung gebraucht, dass eine Verfassung „die Spielregeln des Zusammenlebens bestimme“. Ich handelte mir damit einen strengen Tadel von Rüdiger Fikentscher ein: Das Leben sei kein Spiel. Er hat natürlich recht, wie so oft – und dennoch bekomme ich als Mutter von zwei Töchtern täglich hautnah mit, was für eine todernste Sache so ein Spiel sein kann und wie überlebensnotwendig klare Spielregeln sind.

Aber es gibt tatsächlich einen wichtigen Unterschied: Wenn einem ein Spiel nicht mehr passt, dann kann man sich einfach für ein anderes entscheiden, man kann die Spielregeln ändern – oder man kann einfach beschließen, nie mehr mit den Kindern von nebenan zu spielen.

Verfassungen sind von anderer Qualität. Sie sind auf lange Dauer angelegt, sie sind schwer zu ändern, und sie sollen auch – und gerade! – in Krisenzeiten funktionieren. Sie regeln den Umgang unterschiedlichster Gruppierungen miteinander, die durch auseinanderfallende Interessen oder durch politische Gegnerschaft voneinander getrennt sind.

Sachsen-Anhalts Verfassung hat jetzt schon für sehr unterschiedliche politische Konstellationen den rechtlichen und institutionellen Rahmen abgesteckt:

– für eine erste Wahlperiode mit ständig wechselnden Regierungen von CDU und FDP,

– für acht Jahre sozialdemokratisch geführte Minderheitsregierung,

– die dann wieder von schwarz-gelb abgelöst wurde,

– für zwei aufeinanderfolgende große Koalitionen

– und schließlich heute für die bundesweit einzigartige Landesregierung aus CDU, SPD und Grünen, der eine Oppositionspartei gegenübersteht, die für die Grundwerte dieser Verfassung und des Grundgesetzes nur Verachtung übrig hat.

Dass all diese Konstellationen möglich waren, ohne dass es zu institutionellen Krisen kam, spricht allein schon für die Funktionsfähigkeit unserer Landesverfassung.

Ich möchte noch ein paar Verfassungsbestimmungen ausdrücklich anführen:

– „Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“

– „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.“

– „Das Briefgeheimnis, das Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis sind unverletzlich.“

– „Die Abgeordneten werden durch allgemeine, gleiche, geheime und unmittelbare Wahl nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts auf die Dauer von drei Jahren gewählt. (…) Zur Einreichung von Wahlvorschlägen sind die zugelassenen politischen Parteien berechtigt.“

Das sind Bestimmungen der sachsen-anhaltischen Verfassung – von 1947. Ich habe sie hier angeführt, um zweierlei deutlich zu machen:

erstens dass Reinhard Höppner, Rüdiger Fikentscher, Tilman Tögel und all die anderen sich nicht voraussetzungslos ans Werk machten, sondern auf den Schultern derer standen, die vor ihnen für Demokratie gestritten hatten und dafür mit ihrer Freiheit und zuweilen mit dem Leben bezahlten: Sozialdemokraten, Liberale, Christdemokraten und auch so mancher aufrechte Kommunist, der sich der Stalinisierung verweigerte.

Und zweitens: dass ein Verfassungstext, der nur auf dem Papier steht, nichts wert ist ohne echte Gewaltenteilung, ohne echte Meinungsfreiheit und freie Wahlen, ohne Bindung der Macht an das Recht – vor allem aber, wenn aktive Demokratinnen und Demokraten fehlen, die die Verfassung vor ihren Feinden in Schutz nehmen.

Damit schließt sich der Kreis zu dem Zitat von Reinhard Höppner, das wir dieser Veranstaltung und unserer Broschüre vorangestellt haben:

„Die Verfassung stellt nur einen Raum bereit. Wir alle müssen ihn füllen.“

Das ist kein ganz leichtes Vermächtnis, aber wir bemühen uns.