Katja Pähle zum Strukturwandel:
22. November 2018

Reviere müssen auch für die nächsten Generationen Heimat und Erwerbsgrundlage bleiben

„Es darf keinen Deal mit den Braunkohleunternehmen geben“

Der Landtag diskutiert am heutigen Donnerstag über eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zum Thema „Zukunft entsteht heute – wie wir die Herausforderungen des Strukturwandels meistern“. In ihrem Redebeitrag unterstrich die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle die Notwendigkeit, die Energiewende voranzubringen, und bezeichnete sie als Motor der Innovation. Gleichzeitig forderte sie zum bevorstehenden Strukturwandel in den Braunkohlerevieren:

Es darf keinen zweiten Strukturbruch geben. Die Politik muss zeigen, was sie aus den Verwerfungen nach 1990 gelernt hat. Niemand kann es verantworten, wenn Menschen erneut erleben, wie ihre Lebensleistung von einem Tag auf den anderen entwertet wird. Dafür ist es natürlich unerlässlich, dass verabredete Fristen und Szenarien für den Ausstieg verbindlich sind.

Pähle weiter: Mit einer Entschädigung für die Beschäftigten oder gar mit einem Deal mit den Braunkohleunternehmen ist es nicht getan. Im Mitteldeutschen Revier ebenso wie in den anderen Braunkohleregionen soll auch morgen gutes Geld verdient werden. Die Reviere müssen auch für die nächsten Generationen Heimat und Erwerbsgrundlage bleiben.

Die Rede von Katja Pähle im Wortlaut:

„Zukunft entsteht heute“ hat der Ministerpräsident seine Regierungserklärung überschrieben, und das gilt in mehrfacher Hinsicht. Denn heute stellen wir die Weichen, in was für einer Umwelt und – im wahrsten Sinne – in was für einem Klima wir, aber vor allem unsere Kinder und unsere Enkel leben werden. Heute schaffen wir zugleich die Voraussetzungen dafür, welche ökonomischen und technologischen Potentiale wir in Zukunft nutzen können und wie die Wertschöpfung von morgen aussieht. Heute entscheiden wir aber auch darüber, wie sachlich und ergebnisorientiert wir den Diskurs über die Zukunft unserer Gesellschaft führen – ob wir Chancen gemeinsam nutzen oder ob

Eins ist allerdings die Grundvoraussetzung dafür, Zukunft überhaupt gestalten zu können, und das ist: den Herausforderungen ins Auge zu blicken. Wer vor dem Klimawandel und seinen menschengemachten Ursachen einfach die Augen verschließt, der kann keinen Strukturwandel gestalten und keine Grundlagen für den Wohlstand von morgen legen.

Naturwissenschaft ist die Grundlage von Wertschöpfung in unserer Industriegesellschaft. Und das bedeutet auch: Wer die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel und seine Folgen ableugnet und meint, die Realität ignorieren zu können – der wird ähnlich erfolgreich sein wie jemand, der die Kugelgestalt der Erde bezweifelt und trotzdem auf Luftfahrt und Satellitentechnik setzt. Wer den Aluhut so tief in die Stirn gezogen hat wie Sie, meine Herren von der AfD, der kann der Zukunft jedenfalls nicht ins Auge blicken.

Wir stehen durch den Klimawandel vor einer radikalen Herausforderung – national und international. Was brauchen wir in dieser Situation? Wir brauchen – erstens – neue Energie. Deutschland braucht in dieser Hinsicht sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, aber Sachsen-Anhalt erst recht nicht. Unser Land hat mit dem Ausbau erneuerbarer Energien bereits einen weit überdurchschnittlichen Beitrag zu einer künftigen, CO2-neutralen Energiebasis geleistet. Das ist eine gute Nachricht, denn das bedeutet: Sachsen-Anhalt ist ein Energieland, und Sachsen-Anhalt bleibt ein Energieland!

Die Energiewende, beschlossen von Rot-Grün, nach einer Rolle rückwärts dann endgültig auf den Weg gebracht unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima – diese Energiewende prägt schon heute unser Land. Und sie ist kein Mühlstein um den Hals der Volkswirtschaft, wie manche zu denken scheinen, sondern ein Antriebsmotor der Innovation.

Der Aufbruch ins Zeitalter der erneuerbaren Energien heißt für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten allerdings nicht, dass wir die Rolle der „alten“ Energien und die Lebensleistung der dort Beschäftigten geringschätzen – ganz im Gegenteil. Dass wir alle, die wir in diesem Saal sitzen, in warmen und beleuchteten Wohnungen aufwachsen durften, dass es bei den einen Fernwärme gab, bei den anderen Briketts für den Ofen, dass es Strom und Licht gab – das verdanken wir zu ganz großen Teilen den Bergleuten, die sich oft genug ihre Gesundheit ruiniert haben für ihre gesellschaftlich notwendige Aufgabe.

Und übrigens: in Ost und West. Weder unter marktwirtschaftlichen noch unter planwirtschaftlichen Gesichtspunkten hätte es nach 1945 einen Wiederaufbau gegeben ohne den Einsatz der Kumpel in den Zechen und im Tagebau. Ich finde, diese Lebensleistung müssen wir immer mitdenken, wenn wir über die Zukunft der Reviere sprechen. Und ich lehne es ab, aus dem Blickwinkel unserer heutigen Kenntnisse über Erderwärmung die Bergleute gewissermaßen ex post als Umweltkriminelle abzustempeln – oder sie auf andere Weise herabzuwürdigen wie die grüne Fraktionsvorsitzende von Nordrhein-Westfalen, die aus dem Hambacher Forst ganz begeistert ein Transparent mit der Aufschrift postete: „Ob Nazis oder Kohle – braun ist immer Scheiße!“ Frau Düker hat sich für diesen Tweet glaubhaft entschuldigt, aber er zeigt, wie respektlos und gedankenlos der Umgang miteinander stellenweise geworden ist.

Am Tag nach unserer nächsten Landtagssitzung, am 21. Dezember 2018, werden die Menschen in den Kohlerevieren mit sehr gemischten Gefühlen nach Bottrop schauen. An diesem Tag werden Kumpel der Zeche Prosper Haniel dem Bundespräsidenten das letzte Stück deutscher Steinkohle überreichen und damit eine Etappe deutscher Industriegeschichte endgültig abschließen. Ich bin selbst im Mansfelder Land aufgewachsen, ich weiß, was das Ende des Bergbaus emotional für eine Region bedeutet.

Die Menschen in den Braunkohlerevieren sind nicht naiv. Sie wissen, dass auch die Zeit der energetischen Braunkohlenutzung ihrem Ende entgegen geht. Die Menschen in den Revieren sind auch nicht rückwärtsgewandt. Sie wissen, dass sie für ihre Region neue Perspektiven brauchen – und dafür haben sie einen Anspruch auf unseren entschlossenen Rückhalt.

Ich meine deshalb, dass wir sehr klare Signale senden müssen:

Erstens: Es darf keinen zweiten Strukturbruch geben. Die Politik muss zeigen, was sie aus den Verwerfungen nach 1990 gelernt hat. Niemand kann es verantworten, wenn Menschen erneut erleben, wie ihre Lebensleistung von einem Tag auf den anderen entwertet wird.

Deshalb steht für mich im Vordergrund, dass der Aufbau neuer Erwerbsperspektiven, insbesondere neuer, industrienaher Forschungs- und Infrastrukturen einerseits und der Ausstieg aus der energetischen Braunkohlenutzung andererseits eng miteinander verzahnt werden. Dafür ist es natürlich unerlässlich, dass verabredete Fristen und Szenarien für den Ausstieg verbindlich sind.

Zweitens: Mit einer Entschädigung für die Beschäftigten oder gar mit einem Deal mit den Braunkohleunternehmen ist es nicht getan. Im Mitteldeutschen Revier ebenso wie in den anderen Braunkohleregionen soll auch morgen gutes Geld verdient werden. Die Reviere müssen auch für die nächsten Generationen Heimat und Erwerbsgrundlage bleiben.

Meine Fraktion unterstützt nachdrücklich den Einsatz von Ministerpräsident Haseloff und von Minister Willingmann und seinem Haus für zahlreiche konkrete Vorschläge für Ansiedlungen in der Region, für eine starke Infrastruktur und für eine Sonderförderung für Investitionen. Und natürlich unterstützen wir das Ziel einer ausreichenden und nachhaltigen finanziellen Absicherung dieses Strukturwandels, entsprechend den von den betroffenen Bundesländern gemeinsam formulierten Anforderungen.

Drittens: Wir sollten den Einsatz für die betroffene Region verbinden mit einem generellen Bekenntnis: Der Staat bleibt präsent im ländlichen Raum. Sachsen-Anhalt kann nur stark sein mit einem starken und lebensfähigen ländlichen Raum. Wenn Politik in den letzten Jahren zuweilen Signale gesetzt hat, die in manchen Regionen das Gefühl ausgelöst haben: „Hier macht bald der Letzte das Licht aus“, dann ist es Zeit, dass wir andere Signale setzen. Daseinsvorsorge ist für alle da. Auch in dünnbesiedelten Regionen muss und wird es auch morgen Schule, Nahverkehr, medizinische Grundversorgung und, ja, auch schnelles Internet geben – das ist die Zusage, die Menschen von uns erwarten.

Ich habe über neue Energie für unser Land und über neue Perspektiven für das Braunkohlerevier gesprochen. Ich will hier auch für neuen Konsens werben.

Beim Thema Kohleausstieg gibt es auf den unterschiedlichen Seiten allenfalls fünf Prozent Interessenunterschiede. 95 Prozent sind aus meiner Sicht überflüssige ideologische Aufrüstung.

Die Parteien unserer Koalition liegen zwar in vielen gesellschaftspolitischen Fragen weit auseinander, und das wird sich auch nicht ändern. In der Frage des Strukturwandels könnte das aber ganz anders sein. In dieser Frage könnten wir – von unseren unterschiedlichen Standpunkten aus – Menschen zusammenbringen, die gemeinsam mehr erreichen können. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bringen dafür nicht nur unsere traditionelle Verbundenheit mit den Bergleuten und ihren Gewerkschaften ein, sondern auch die Erfahrung und die Expertise, wie auf dem Boden alter Industrien und mit den Erfahrungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neue Chancen entstehen können.

Dafür wünsche ich uns allen: Glückauf!