Landtag diskutiert Ergebnisse der "Kohlekommission"
1. Februar 2019

Pähle: Es sind noch Hausaufgaben zu erledigen – ein Strukturwandel auf Zuruf kann nicht funktionieren

Der Landtag von Sachsen-Anhalt diskutiert in seiner Sitzung am heutigen Freitag in einer Aktuellen Debatte über die Ergebnisse der sogenannten „Kohlekommission“. In der Debatte erklärte die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle:

Mir ist zu Beginn meiner Ausführungen eine Feststellung wichtig: Am Beschluss der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ist nicht nur wichtig, was dort beschlossen wurde. Es ist auch ein großer Erfolg, dass es beschlossen wurde und mit welch großer Mehrheit.

Denn zum Wesen – und zum Erfolgsrezept – der Demokratie gehört, dass sie zu beidem in der Lage ist: zur Mehrheitsfindung und zur klaren Richtungsentscheidung genauso wie zum Kompromiss und zur Bildung breiter gesellschaftlicher Konsense.

Der erste Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie war ein Beispiel für eine eindeutige Richtungsentscheidung. Sie war notwendig und unumgänglich, und sie war – trotz der kurzzeitigen Rolle rückwärts – der Beginn der Energiewende in unserem Land.

Was die sogenannte Kohlekommission jetzt geschafft hat, ist die Basis für die durch einen breit getragenen Konsens in unserer Gesellschaft verabredete nächste Etappe dieser Energiewende. Sie bietet die Chance für einen wirksamen Interessenausgleich bei der Bewältigung dieser großen Aufgabe, die vor uns liegt.

Was sind unsere Anforderungen und unsere Interessen als Land in diesem Prozess, und wie sieht die Zwischenbilanz nach dem Beschluss der Kommission aus? Aus sozialdemokratischer Sicht möchte ich vier Punkte nennen:

Erstens: den Klimaschutz voranbringen.

Sachsen-Anhalt ist ein traditionelles Kohleland. Was wir aber ganz bestimmt nicht sind und nicht sein wollen ist: ein Bremserland. Die mitteldeutsche Industrieregion, die heute Sachsen-Anhalt heißt, war seit jeher ein Motor für wissenschaftlichen, technologischen und industriellen Fortschritt.

Die Offenheit für Innovation hat die Chemieregion im Süden und Südosten unseres Landes ebenso groß gemacht wie den Maschinenbau in Magdeburg und die moderne Landwirtschaft in der Börde. Innovation gehört zu unserer Geschichte und ist die Basis für unsere Zukunft.

Heute müssen wir diese Innovationskraft stärken und darauf bauen, uns unsere Lebens- und Produktionsgrundlagen zu erhalten. Klimaschutz ist der Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie. Dafür ist der Kompromiss der „Kohlekommission“ ein Meilenstein, weil er den Ausstieg aus der Kohle verbindlich festschreibt und damit auch die Anreize und Vorgaben für den weiteren Umbau in Richtung erneuerbare Energien setzt. Für diese Entwicklung ist Sachsen-Anhalt als Land der erneuerbaren Energien gut aufgestellt.

Das zweite Ziel für die Arbeit der Kommission war: den Strukturwandel bewältigen und gestalten.

Hier heißt die Bilanz aus unserer Sicht: eine gute Grundlage, aber alles andere als das letzte Wort. Als Begleitmusik zur Arbeit der Kommission wurde viel mit Milliardensummen jongliert. Was jetzt in den Beschluss aufgenommen wurde, ist hilfreich – wenn es in konkrete Gesetze, verlässliche Verträge und ordentliche Haushaltsbeschlüsse umgesetzt wird.

Das nimmt in erster Linie die Bundesregierung in die Pflicht. Wir setzen darauf, dass in Berlin die Empfehlungen der Kommission so schnell wie möglich umgesetzt und die entsprechenden Vorhaben auf den Weg gebracht werden. Denn was die Menschen und die Wirtschaft in den Kohlerevieren jetzt vor allem brauchen, ist Planbarkeit und Verlässlichkeit.

Das dritte Ziel heißt aus unserer Sicht ganz klar: Das Mitteldeutsche Revier darf nicht zwischen den Interessen der Lausitz und des Rheinischen Reviers zerrieben werden.

Und da darf man wohl eindeutig feststellen: Sachsen-Anhalt ist es erkennbar geglückt, mit der kleinsten noch aktiven Kohleabbauregion dennoch sichtbar und unüberhörbar zu bleiben. Dafür will ich Ministerpräsident Dr. Haseloff und Minister Prof. Willingmann ausdrücklich danken. Dass das gelungen ist, bildet sich im Abschlussdokument der Kommission sehr deutlich ab.

 

Das vierte Ziel ist: Die Anschlussperspektive muss für die Menschen in der Region erkennbar werden.

Neue Perspektiven für Arbeitsplätze und zukunftsfähige wirtschaftliche Strukturen darf es nicht erst im Jahr 2038 geben. Sie müssen jetzt aufgezeigt werden. In dieser Hinsicht, muss ich sagen, bleibt noch viel zu tun. Und dabei richten sich die Erwartungen nicht nur nach außen, beispielsweise an die Bundesregierung. Es sind auch noch viele Hausaufgaben im eigenen Land zu erledigen.

Als Anlage hängen am Beschluss der „Kohlekommission“ lange Listen. Es sind Projektlisten der Länder, sie sind 200 eng bedruckte Seiten lang und umfassen fast 1.400 Einzelprojekte.

In den letzten Tagen konnte man manche Zeitungsartikel so lesen, als seien diese 1.400 Projekte beschlossene Sache und als würden ab morgen alle an der Umsetzung arbeiten. Auf die Gefahr hin, Wasser in den Wein zu gießen: Das ist nicht der Fall. Wir befinden uns in der Phase von Vorschlägen.

Die Sammlung dieser Vorschläge war eine wichtige Voraussetzung, um bei den Verhandlungen in der Kommission deutlich zu machen, welche Dimension die Herausforderung in den Kohlerevieren hat – und wie ehrgeizig die Länder diese Herausforderung angehen wollen und müssen. Ich muss aber jedenfalls für unser Land feststellen, dass die in den Listen enthaltenen Vorschläge im Land nicht erörtert, geschweige denn ausdiskutiert sind – ja, nicht einmal in der betroffenen Region. Ein Strukturwandel auf Zuruf wird aber nicht funktionieren.

Mein Kollege Rüdiger Erben hat in dieser Woche zu Recht gesagt: Die Menschen im Mitteldeutschen Revier wollen in Werkhallen, Laboren und Büros arbeiten und nicht in Luftschlössern. Und er fügte hinzu: Gradmesser sind neue Arbeitsplätze, wirtschaftlicher Erfolg und eine strukturelle Stärkung der Region.

Es kommt also jetzt darauf an, für die betroffene Region konkret zu beschreiben, welche Branchen wir mit welchen Förderinstrumenten ansiedeln wollen, welche Rolle Forschung und Entwicklung dabei spielen und wie das Zusammenwirken zwischen der traditionellen Industrieregion und den wissenschaftlichen Potentialen im Raum Halle-Merseburg organisiert und gestärkt werden kann. Und natürlich: wie die Verkehrserschließung und die Dateninfrastruktur den Erfordernissen einer neuen Wirtschaftsstruktur gerecht werden können.

In der Kohleförderung und Kohleverstromung im Mitteldeutschen Revier arbeiten überdurchschnittlich gut qualifizierte Arbeitskräfte. Unser Anspruch muss es sein, dass wir dieses Qualifikationsniveau nutzen und erhalten. Die heutige Braunkohleregion muss Hochqualifikationsland bleiben. Deshalb wird ein branchenübergreifendes Management von Ausbildung und Weiterbildung eine wichtige Aufgabe des Übergangsprozesses sein.

Unsere Erwartung an die Landesregierung ist, dass sie die Konkretisierung der vorgeschlagenen Projekte in enger Abstimmung mit der Region, mit Unternehmen und Gewerkschaften, mit Hochschulen, Kommunalpolitikern und nicht zuletzt mit dem Landtag voranbringt.

Es ist eine positive Nachricht, dass die neue Agentur für Cybersicherheit des Bundes im Raum Halle/Leipzig angesiedelt werden soll. Wir dürfen selbstbewusst davon ausgehen, dass die Bundesregierung nicht nur dem Prinzip „der Osten muss auch mal was abbekommen“ gefolgt ist, sondern dass es auch die Qualität des wissenschaftlichen und technologischen Umfeldes ist, die für diese Standortentscheidung gesorgt hat.

Nun ist der Begriff „Raum Halle/Leipzig“ natürlich recht unbestimmt. Ob die Ansiedlung auf das Konto des Strukturwandels im Mitteldeutschen Revier gebucht werden kann, wird von der eigentlichen Standortwahl abhängen. Für Sachsen-Anhalt macht es schon einen erheblichen Unterschied, in welchem Bundesland die Einrichtung schließlich unterkommen wird.

Das Bild Sachsen-Anhalts in der Welt wird in der jüngsten Zeit vor allem von seiner Geschichte geprägt. Ob Reformation oder Bauhaus – es sind Bilder von Dynamik und von Aufbruch in die Moderne, die die Menschen von hier mitnehmen.

Die Industriegesellschaften stehen jetzt am Beginn eines neuen Abschnitts der Moderne, in dem industrielle Produktion nur noch funktionieren wird, wenn sie nachhaltig organisiert ist. Es wäre ein lohnendes Ziel, dass Sachsen-Anhalt auch diesmal als ein Labor der Moderne funktioniert. Aber dieses Labor wird nicht im Elfenbeinturm entstehen. Es muss in der wirtschaftlichen Realität wachsen und Bestand haben – und vor allem: Es muss Menschen Arbeit und Lebensgrundlage geben. An diesem Ziel wollen wir weiter gemeinsam arbeiten.