Aktuelle Debatte im Landtag zum „Konsens der DemokratInnen“
28. Februar 2020

Pähle: „Thüringens BürgerInnen müssen die Chance bekommen, durch Neuwahlen klare Verhältnisse zu schaffen“

Der Landtag von Sachsen-Anhalt führt am heutigen Freitag auf Antrag der SPD-Fraktion eine Aktuelle Debatte unter der Überschrift „Konsens der Demokratinnen und Demokraten bewahren – parlamentarische Demokratie in Deutschland nach der gescheiterten Regierungsbildung in Thüringen“ durch. In der Debatte erinnerte die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle an die Forderung des Koalitionsausschusses von CDU, CSU und SPD in Berlin, dass Regierungsbildungen und politische Mehrheiten nicht durch die Stimmen der AfD zustande kommen dürfen. Pähle: „Genau diese Botschaft hätten wir heute gerne auch hier – gemeinsam mit den Koalitionspartnern – als Antrag vorgelegt. Leider war das nicht möglich. Wir verpassen so die Chance, gemeinsam ein Signal nach Erfurt zu schicken und den demokratischen Parteien dort für eine konstruktive Lösung den Rücken zu stärken.“

Die Rede im Wortlaut:

Das ist heute ein denkwürdiger Tag: Wir haben im vorangegangen Tagesordnungspunkt mit der Änderung der Landesverfassung gerade sehr deutlich demonstriert, was das heißt: „Konsens der Demokratinnen und Demokraten“. Wir haben den Menschen in unserem Land – und ja, auch uns selbst – deutlich vor Augen geführt, dass es für demokratische Parteien über alle sonstigen Unterschiede hinweg eine gemeinsame Wertebasis gibt.

Und mehr noch: Wir können diesen Konsens, der Grundlage allen staatlichen Handelns ist, nicht nur bewahren – wir können ihn auch weiterentwickeln. Wir können ihn anpassen an die Erfordernisse und Herausforderungen unserer Zeit, und das haben wir heute getan.

Und wir haben damit noch etwas sehr Wichtiges herausgestellt: Demokratie ist nicht bloß Form. Demokratie ist Inhalt. Es geht eben nicht nur darum, in demokratischen Wahlen zu ermitteln, wer Mehrheit ist und wer Minderheit. Es kommt auch darauf an, welche Politik man mit dieser Mehrheit umsetzt. Dafür legt die Verfassung Grundwerte, Ziele und Grenzen staatlichen Handelns fest. Sie sind die inhaltlichen Leitplanken demokratischer Politik, und wir haben heute für Sachsen-Anhalt einige neue, moderne Leitplanken eingezogen. Dafür danke ich an dieser Stelle noch einmal allen, die daran mitgewirkt haben.

Es gibt noch eine weitere Leitplanke. Sie ist die allerwichtigste, auch wenn sie mit diesem Wortlaut in keiner Verfassung steht. Sie heißt: Man darf den Gegnern der Demokratie keine Macht geben.

Das ist die fundamentale Lehre aus dem Ende der Weimarer Republik und aus der Machtübergabe an die Nationalsozialisten. Und das ist der Grund, warum es für die Wahl des Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag am 5. Februar keine andere Bewertung geben kann als die von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Diese Wahl war „ein unverzeihlicher Fehler.

Die Entscheidung von FDP und CDU, einen FDP-Kandidaten mit den Stimmen der AfD ins Amt zu bringen, hätte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Landesregierung ins Amt gebracht, die von Feinden unserer Demokratie abhängig gewesen wäre. Denn machen wir uns doch nichts vor: Wer einen Ministerpräsidenten wählt, der hat auch politische Erwartungen.

Und damit hätte die AfD in Thüringen zumindest indirekt Einfluss auf die Regierungspolitik gewonnen.

Eine solche Landesregierung ist, wie wir wissen, dann doch nicht gebildet worden – aber dass es überhaupt versucht worden ist, hat das Vertrauen unter den demokratischen Parteien beschädigt. Deshalb sprechen wir in unserem Antrag für die heutige Debatte davon, dass der Konsens der Demokratinnen und Demokraten bewahrt werden muss, und das bedeutet: Regierungsbildungen und politische Mehrheiten dürfen nicht durch die Stimmen der AfD zustande kommen.

Das ist genau das, was CDU, CSU und SPD im Koalitionsausschuss in Berlin gemeinsam beschlossen haben. Und genau diese Botschaft hätten wir Ihnen heute gerne auch hier – gemeinsam mit den Koalitionspartnern – als Antrag vorgelegt. Leider war das nicht möglich. Wir verpassen so die Chance, gemeinsam ein Signal nach Erfurt zu schicken und den demokratischen Parteien dort für eine konstruktive Lösung den Rücken zu stärken – und damit den demokratischen Konsens an den Tag zu legen, der uns seit Bildung der Kenia-Koalition geeint hat.

Ich sage ganz deutlich: Wohin sich die parteiinterne Debatte der CDU über ihr Verhältnis zur Linken entwickelt, ist eine innere Angelegenheit der CDU und nicht das Problem der anderen Parteien.

Ich habe jedoch kein Verständnis dafür, wenn das Bedürfnis der CDU, sich in alle Richtungen abzugrenzen, den Blick dafür verstellt, dass eine Gleichsetzung von AfD und Linke absurd ist. Wie absurd diese Gleichsetzung ist, das zeigt ja gerade der Blick nach Thüringen: Björn Höcke, dessen Fraktion an der Wahl von Herrn Kemmerich beteiligt war, vertritt in seinen Reden und Texten ein durchgängig nationalsozialistisches Weltbild und lässt keinen Zweifel daran, dass er seinen Worten auch Taten folgen lassen will.

Um das ganz deutlich zu sagen: Wer vom „bevorstehenden Volkstod durch Bevölkerungsaustausch“ spricht, der nährt genau die rassistischen Vorstellungen, die zum Beispiel den Attentäter von Hanau zu seiner Bluttat veranlasst haben.

Ich frage Sie: Wer will einen Faschisten wie Höcke auf eine Stufe stellen mit einem Ministerpräsidenten wie Bodo Ramelow, der erfolgreich eine rot-rot-grüne Landesregierung geführt hat – und mit dem auch Ministerpräsident Reiner Haseloff bei der Vertretung ostdeutscher Interessen häufig eng zusammengearbeitet hat?

Die Lage in Thüringen ist auch mehr als drei Wochen nach der Wahl von Herrn Kemmerich immer noch Anlass zu ernster Sorge. Der Freistaat hat keine funktionsfähige Landesregierung, und ob es kommende Woche die Neuwahl eines Ministerpräsidenten geben wird, ist ungewiss.

Wenn Herr Merz als Bewerber für den CDU-Vorsitz vorgestern erklärt, Schuld an der Lage in unserem Nachbarland sei Bodo Ramelow, weil er sich zur Wahl gestellt hat, dann zeigt das, dass maßgebliche Kräfte in dieser verfahrenen Situation immer noch keine Verantwortung für die Zukunft Thüringens und für klare, demokratische Verhältnisse übernehmen wollen. Solche Äußerungen sind ein verheerendes Signal an die Abgeordneten in Erfurt, die jetzt Richtungsentscheidungen treffen müssen. Und solche Äußerungen machen überdeutlich, wie wichtig es ist, dass Thüringens Bürgerinnen und Bürger die Chance bekommen, durch rasche Neuwahlen klare Verhältnisse zu schaffen.